Obergraben westlich Wickede

Nach einer langen Phase der Nutzbarmachung und Umgestaltung wird ein Abschnitt der Ruhr durch die vom Land vorangetriebene Renaturierung wieder zum lebendigen Gewässer.

Kiesbänke an der Alten Ruhr – der Mittelgebirgsfluss schafft wieder dynamische Lebensräume

Als eines der ersten Elektrizitätswerke an der hiesigen Ruhr ging 1911 das Laufwasserkraftwerk Fröndenberg-Warmen ans Stromnetz – und veränderte mit dem Bau des Wehres und des Obergrabens die Warmener Ruhr und ihr Umfeld entscheidend.

War bis dahin die Ruhr unreguliert und frei, ist seither der Abfluss weitgehend gesteuert, der zum Kraftwerk führende Obergraben liegt im Dauerstau-Bereich. Dieser Teil der Ruhr dümpelt gemächlich auf die Turbinen zu und entwickelt fast Stillgewässser-Charakter.

Die am Wehr abzweigende Alte Ruhr ist jedoch zeitweise noch immer einer beeindruckenden Dynamik ausgesetzt: Bei Hochwasser wird das Wickeder Wehr aufgezogen und die Alte Ruhr muss ein Vielfaches der üblichen Wassermenge aufnehmen. Trockenperioden im Sommer führen dazu, dass sich nur noch der behördlich festgelegte Mindestabfluss als Rinnsal durch das dann viel zu große, fast mediterran anmutende Flussbett schlängelt. An der Alten Ruhr lässt sich hier noch erahnen, dass die Ruhr tatsächlich zu den kiesreichen Mittelgebirgsflüssen zu zählen ist – und welche Kraft der Fluss entwickeln kann bzw. was er zu transportieren in der Lage ist.

Der Aue am Obergraben erging es allerdings ganz ähnlich wie fast allen Flächen entlang der Ruhr: die Flussregulation und der Ausbau der Ufer ließen Steilwände und Kiesinseln verschwinden und ermöglichten die Trockenlegung und den Umbruch des bis dato vorherrschenden Grünlandes. Alte Flutrinnen wurden nach und nach zugeschüttet und eingeebnet, die Ackernutzung wurde zur vorherrschenden Nutzungsform. In der Folge waren die einstmals kennzeichnenden und wertgebenden Strukturelemente wie Feuchtwiesen, Auenwaldrelikte und Strukturelemente des Flussbettes im heutigen NSG weitgehend verschwunden.

2002 erfolgte ein erster Lichtblick: Der Kreis Unna stellte den Ruhrlauf und den nördlich der Ruhr gelegenen Grünland-Waldkomplex von der östlichen Kreisgrenze (dort ist die Alte Ruhr Teil des Natura 2000/FFH-Gebietes „Ruhr“) bis zum Beginn des Hammer Wasserwerkes in Warmen als Naturschutzgebiet „Obergraben westlich Wickede“ unter Schutz.

Das Entwicklungsziel wurde aus dem historischen Vorbild abgeleitet, eine naturnahe Flussaue mit artenreichem Grünland, Eichen-Hainbuchen-Wäldern und Hochstaudenfluren soll entwickelt werden.

Ackerflächen sind in der Folge wieder als Grünland eingesät worden, mit dem dort wirtschaftendem Schäfereibetrieb wurden Pachtverträge abgeschlossen, die die Anwendung von Pestiziden und chemischen Düngern ausschließen und die Nutzungsintensität reduzieren. Erste Erfolge bestätigen den eingeschlagenen Weg. Inzwischen gibt es im Gebiet stellenweise wieder magere Weidelgras-Weißkleeweiden mit Feldhainsimse, Acker-Hornkraut und Mausohr-Habichtskraut. Auch die Vogelwelt hat sich positiv entwickelt: die angepflanzten neuen Hecken und Kopfbäume dienen jahrweise mehreren Neuntötern als Brutplatz, Dorngrasmücke, Klappergrasmücke und Goldammer sind gut vertreten.

Die aufgeforsteten Waldbereiche im Norden des Gebietes entwickeln sich zu artenreichen Eichen-Hainbuchenwäldern, die im Frühjahr vom Weiß des Buschwindröschens und vom Rosa des Gefingerten Lerchensporns geprägt sind.

Im Winter 2023/2024 erreicht nach über 100 Jahren eine weitere Zäsur die Alte Ruhr: die vom Land NRW vorangetriebene Renaturierung der Ruhr als lebendiges Gewässer gestaltet das Gebiet noch einmal grundlegend um. Alte Uferbefestigungen werden entfernt, Kiesbänke initiiert und vor allem die Alte Ruhr erheblich aufgeweitet. Große vegetationsarme Kiesbänke und abschnittsweise herausgearbeitete Steilufer prägen jetzt diesen Abschnitt. Vor allem aber wird auch die Mindestwassermenge erhöht, die auch in Trockenzeiten durch den natürlichen Flusslauf strömen muss. So kann sich der Flutende Hahnenfuß im Gewässer wieder ausbreiten und auf den Kiesbänken wachsen artenreiche Schlammuferfluren mit Nickendem Zweizahn, Gift-Hahnenfuß und verschiedenen Ampfer-Knöterich-Arten.

Waldwasserläufer und Flußuferläufer rasten im Gebiet, Gebirgsstelze brüten ebenso wie Uferschwalben und Eisvögel, die die neu geschaffenen Steilwände besiedeln.

Das wilde Wasser der Ruhr darf jetzt hier wieder den Flusslauf gestalten – auch wenn es im Jahreslauf leider die meiste Zeit die viel zu hoch gelegenen übrigen Auenflächen nicht erreichen kann.

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