Kiebitzwiese

Der Kontrast könnte auf den ersten Blick nicht größer sein: am östlichen Ortsrand von Fröndenberg öffnet sich das Ruhrtal und schafft zwischen Bebauung und Gewerbe Platz für das Naturschutzgebiet „Kiebitzwiese“. Offene Wasserflächen mit zahlreichen Wasservögeln und Weideflächen mit urwüchsigen Rindern ziehen alle Blicke auf sich. Und wenn sommertags der Weißstorch auf seinem gut einsichtigen Horst klappert, spätestens dann wird klar, dass diese Oase im Ruhrtal ein Magnet für Tier und Mensch ist. Was nach einem letzten erhaltenen Flussauenrelikt im Fröndenberger Ruhrtal aussieht, hat aber eine wechselvolle Geschichte zu erzählen und sah im Jahr der Unterschutzstellung 2002 noch ganz anders aus.

Eine Erfolgsgeschichte des Naturschutzes – die wiedervernässte Auenlandschaft am Ostrand Fröndenbergs

Die Kiebitzwiese teilte die Geschichte fast aller Auenflächen in der hiesigen Ruhraue: noch auf der ersten Karte des Gebietes ist die Kiebitzwiese um 1840 als ein zusammenhängendes, hochwasserbeeinflusstes Grünlandgebiet an der unregulierten Ruhr dargestellt. Die Ruhr wies noch zahlreiche Kiesinseln und Uferabbrüche auf und floss frei. Kiebitze schätzen schon damals solche Bedingungen und wurden dank der vielen Bruten hier zum Namensgeber des Gebietes.

Bis 1925 wurden für die Wasser- und Elektrizitätsgewinnung die Ruhrufer dann befestigt. Der Fluss wurde zur Erzielung einer größeren Stauhöhe durch Dämme über Geländeniveau angestaut. Hochwasser erreichte die Aue jetzt nur noch in Ausnahmefällen. Wie auch in den anderen Naturschutzgebieten an der Ruhr ist diese Flussregulierung zum Umbruch des Grünlandes und zur Vermehrung des Ackerlandes genutzt worden. Auch die Flößwiesenbewirtschaftung der Kiebitzwiese, bei der man nährstoffreiches Bachwasser zur Ertragssteigerung in die Wiesen leitete, wurde aufgegeben. Die ehemals hier brütenden Vogelarten der feuchten Wiesen und Weiden, darunter Bekassinen und Raubwürger verloren ihren Lebensraum.

Mit der Ausweisung der ruhrnahen Bereiche vom Rammbach bis zur Graf-Adolf-Straße entlang der Ruhr als Naturschutzgebiet 2002 begann dann die Wiederherstellung einer grünlandbetonten, offenen und wasserführenden Auenlandschaft – als Erfolgsgeschichte des Naturschutzes. Die Ackerflächen wurden zurück in Grünland umgewandelt. 2011 konnte der alte Flößgraben auf der Kiebitzwiese reaktiviert werden und vernässt seitdem wieder die Wiesen und Weiden. Ohne größere Erdarbeiten füllten sich alte flache Flutrinnen und Senken mit Wasser, die sich trotz des jahrzehntelangen Ackerbaus erhalten hatten. Eine abwechslungsreiche Ersatzaue mit großen Flachwasserbereichen wurde sichtbar.

Weitere Gewässer sind seitdem durch den aktiven Anschluss von alten Flutrinnen und den Bau einer naturnahen Fischaufstiegsanlage der Stadtwerke Fröndenberg Wickede am Stauwehr Schwitten 2022 dazu gekommen und ergänzen die vorhandenen Gewässer um frei fließende Gewässerabschnitte.

Zum Erhalt dieser offenen Feuchtgrünlandlandschaft trägt die seit 2009 aufgebaute Heckrindherde bei, die seitdem im Gebiet ganzjährig frei lebt. Die robusten und allwettertauglichen Tiere verhindern, dass Gehölze überhandnehmen und die Weidelandschaft zum Auenwald durchwächst. Da sich auf der gegenüberliegenden Ruhrseite im Märkischen Kreis mit dem Naturschutzgebiet „Auf dem Stein“ ein großes Auenwaldgebiet befindet, vervollständigt die Kiebitzwiese so die vorhandenen verschiedenen natürlichen und naturnahen Auenlebensräume und erhöht die Strukturvielfalt.

Die offenen Wasserflächen wirken inzwischen wie ein Magnet auf Wasser- und Watvögel: neben den Kiebitzen sind hier zu den Zugzeiten regelmäßig Bekassinen, Wald- und Bruchwasserläufer, Grünschenkel und Flussregenpfeifer sowie Schnatter-, Löffel-, Spieß- und Krickenten zu Gast. Auffallend sind die großen Ansammlungen von Grau-, Kanada-, Nil- und Rostgänsen, die die Kiebitzwiese im Herbst und Winter als Mauser- und Ruheraum nutzen. Neuntöter und Schwarzkehlchen suchen – wie die manchmal hier rastenden Kraniche – auf den Grünlandflächen Nahrung.

Auch Wasserfrösche und Grasfrösche haben die Kiebitzwiese neu für sich entdeckt – genauso wie Prachtlibelle, Granatauge, Blaupfeil, Vierfleck, Azurjunger und Heidelibelle, die in großer Zahl über den flachen Gewässern jagen.

Besonders bunt sind die Gewässerränder, wenn im Juli die zartroten Schwanenblumen, der Blutweiderich und die verschiedenen gelben Zweizahn-Arten blühen. Rohrammer und Sumpfrohrsänger sind hier dann noch mitten im Brutgeschäft.

Der gehölzbestandene und ungestörte Bereich „Ochsenkamp“ direkt an der Ruhr ist der Rückzugsraum für Heckrinder und Wildtiere. Hier ist auch das Ruhrufer abgesperrt, damit Haubentaucher und Zwergtaucher brüten können und im Winter Schellenten, Gänse- und Zwergsäger einen energiesparenden Ruheraum finden. Dort wachsen auch die Fuchs-Segge und die Sumpf-Calla.

Weitere Wiesen und Weiden des Naturschutzgebietes zwischen dem Fröndenberger Stadion und dem Industriegebiet werden regulär landwirtschaftlich bewirtschaftet und in der Regel mit Schafen beweidet.

Damit all dies relativ störungsarm erlebt werden kann, ermöglichen es umlaufende Wege und zwei Beobachtungshügel am Ruhrtalradweg an der Werner-von-Siemens-Straße, die Vogel- und Tierwelt hautnah zu erleben und zu fotografieren, ohne die teilweise scheuen Arten zu vergrämen.

Die Kiebitzwiese wird aufgrund der eingedeichten Ruhr leider nur selten ein Hochwasser sehen und hängt am Tropf des wasserzuführenden Flößgrabens. Sie bleibt eine Ersatzlandschaft in einer „stillgelegten“ Aue. Aber trotz dieser statischen Bedingungen sind dank des Kaufs aller Flächen durch die öffentliche Hand und der Wiedervernässung aus intensiv genutzten Ackerschlägen strukturreiche, sekundäre Auenlebensräume entstanden – mit einer ziemlich dynamischen Erfolgsgeschichte.

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